Weil jedes Jahr zur Erntezeit Kritiker gegen Saisonarbeit wettern, hat die Fachgruppe Obstbau im Bundesausschuss Obst und Gemüse eine Broschüre mit zwölf Mythen und Fakten zusammengestellt, berichtet der Obstbauverband Sachsen & Sachsen-Anhalt e.V.

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Image: Jai79/pixabay

Denn es gebe zwar schwarze Schafe unter den Betrieben, diese seien im Obstbau erfahrungsgemäß aber oft schnell wieder von der Bildfläche verschwunden, weil ein anständiger Umgang mit den Mitarbeitern heutzutage die absolute Voraussetzung für den Erfolg und das Überleben eines jeden Obstbaubetriebs sei.

Wer sich nicht daran halte, schade sich langfristig selbst. Aber die große Mehrheit der Obstbauern weiß: Ohne die Helfer aus dem Ausland geht es nicht.

Mythos #1: „Die nehmen uns Deutschen die Arbeit weg“

Wer steht freiwillig wochenlang bei Wind und Wetter auf dem Feld, um Obst zu pflücken oder sich nach Erdbeeren zu bücken? Die Realität ist: Deutsche Arbeitskräfte sind für diese körperlich anstrengende Saisonarbeit kaum zu finden. Die Betriebe sind dringend auf die Helfer aus Ländern wie Polen oder Rumänien angewiesen, um die Ernte überhaupt einzubringen – egal ob Obst vom Baum oder Erdbeeren vom Feld. Ohne sie bliebe ein Großteil der Ernte einfach liegen.

Mythos #2: „Die werden doch total ausgebeutet für einen Hungerlohn“

Hier gelten klare Regeln. Der gesetzliche Mindestlohn von 12,82 Euro pro Stunde (Stand: 2025) ist die absolute Untergrenze – für jeden, egal woher er kommt. Viele verdienen durch Leistungslohn sogar mehr. Arbeitszeiten und Lohn müssen genau dokumentiert werden. Und ja, die Behörden kontrollieren das auch.

Mythos #3: „Die hausen in schäbigen Baracken und zahlen dafür noch Wuchermieten“

Die Unterkünfte sind keine Luxushotels. Aber es gibt klare Vorschriften, wie sie auszusehen haben (Arbeitsstättenverordnung, ASR A4.4). Viele Bauern bieten sogar mehr als vorgeschrieben, z.B. nur zwei Leute pro Zimmer statt mehr. Kosten für Unterkunft und Verpflegung dürfen nur nach Vereinbarung im Arbeitsvertrag angerechnet werden – nicht einfach so. Und die Miete decke oft nur die echten Kosten für Container, Strom, Wasser, Heizung und oft sogar Reinigung. Kostenlose Unterkünfte zu fordern, wäre unfair gegenüber heimischen Mitarbeitern, die das auch nicht bekommen.

Mythos #4: „Die schuften sich kaputt, zwölf Stunden am Tag, ohne Pause“

Die Ernte richtet sich nach dem Wetter und der Reife – mal mehr, mal weniger Arbeit. Viele Saisonkräfte wollen in kurzer Zeit viel arbeiten, um gutes Geld zu verdienen. Aber das Arbeitszeitgesetz setze klare Grenzen, die eingehalten werden müssen. Pausen sind Pflicht.

Mythos #5: „Wenn die krank werden, sind sie aufgeschmissen – keine richtige Versicherung“

Die Helfer sind abgesichert. Entweder über die gesetzliche Krankenversicherung in Deutschland oder im Heimatland (mit A1-Bescheinigung). Bei sozialversicherungsfreier Beschäftigung schließt der Arbeitgeber eine private Krankenversicherung ab. Diese private Versicherung sei oft sogar besser auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten und zahle z.B. auch den Rücktransport nach Hause im Krankheitsfall – was die gesetzliche Kasse nicht mache. Arbeitsunfälle seien zudem über die gesetzliche Unfallversicherung abgesichert.

Mythos #6: „Die sind doch total isoliert und den Chefs ausgeliefert“

Viele Saisonkräfte kommen seit Jahren, oft schon in der zweiten Generation, auf „ihren“ Hof. Da entstehen oft fast freundschaftliche Verhältnisse. Die Bauern wissen: Zufriedene Mitarbeiter kommen wieder – und gute Leute sind schwer zu finden. Deshalb gibt es oft Extras: Gratis-WLAN für den Kontakt zur Familie, Hilfe bei Arztbesuchen, gemeinsame Essen, manchmal sogar kleine Freizeitangebote. Das sind geschätzte Teammitglieder.

Mythos #7: „Dubiose Vermittler im Ausland zocken die Arbeiter ab“

Das stimme oft nicht. Viele Helfer kommen seit Ewigkeiten auf denselben Hof – da läuft alles direkt und persönlich. Klar gibt es auch mal Agenturen, die bei der Suche helfen. Aber dafür zahle der Bauer, nicht der Arbeiter. Und der Landwirt hat selbst das größte Interesse daran, dass alles fair und seriös abläuft. Reine Leiharbeit, wie man sie aus anderen Branchen kenne spiele bei der Obsternte keine Rolle – viel zu kompliziert und teuer für die Betriebe.

Mythos #8: „Sicherheit auf dem Feld? Interessiert doch keinen“ 

Sicherheit wird hierzulande RIESIG geschrieben. Ob beim Umgang mit der Leiter oder beim Pflanzenschutz – die Berufsgenossenschaft und externe Prüfer (wie vom QS-Siegel, das fast alle haben) kontrollieren extrem streng. Jede Sicherheitseinweisung MUSS gemacht werden, wird genau aufgeschrieben und vom Mitarbeiter per Unterschrift bestätigt.

Mythos #9: „Die verstehen doch kein Wort Deutsch – wie sollen die sich bei Problemen melden?“

Moderne Übersetzungs-Apps haben hier alles verändert. Fast jeder ausländische Mitarbeiter und jeder Betrieb nutze sie. So klappe die Verständigung heute – schnell, einfach und direkt. Probleme können sofort angesprochen werden. Außerdem kommen die meisten schon seit Jahren und viele würden zumindest deutsch radebrechen können.

Mythos #10: „Die armen Leute kommen nur aus purer Not und nehmen jeden Job an“

Das sei zu kurz gedacht. Für die meisten sei die Saisonarbeit in Deutschland eine bewusste Entscheidung. Sie könnten hier in wenigen Wochen oft ein Vielfaches von dem verdienen, was zuhause möglich sei – Geld für die Familie, für Anschaffungen. Es wird für die Bauern immer schwerer, überhaupt gute Leute zu finden, weil es auch in Polen oder Rumänien wirtschaftlich aufwärts gehe. Die Betriebe müssen sich richtig bemühen und um die besten Helfer werben.

Mythos #11: „Die Einhaltung der Regeln kontrolliert doch eh keiner“

Da schauen ganz viele drauf: Der Zoll (Finanzkontrolle Schwarzarbeit), die Berufsgenossenschaft (Unfallversicherung), die Prüfer der Qualitätssiegel (wie QS) und die Arbeitsschutzbehörden der Bundesländer. Die Liste ist lang. Wenn ein Betrieb schummele, fliege das in der Regel schnell auf und habe Konsequenzen.

Mythos #12: „Die armen Arbeiter hocken doch nur isoliert in ihren Unterkünften“

Selten. Natürlich sei der Kontakt nach Hause wichtig (deshalb oft gratis WLAN). Aber genauso wichtig sei der Zusammenhalt untereinander, in der eigenen „Community“. Und das fördern die Betriebe. Es gibt Gemeinschaftsräume, oft werden kleine Feste organisiert, z.B. als Bergfest. Wichtig sei auch ein Grillfest zum Ernteabschluss. Man sei vielleicht weit weg von daheim, aber selten allein.

Saisonarbeit im Obstbau ist harte Arbeit. Aber sie sei unverzichtbar, wenn wir heimisches Obst auf dem Tisch wollen. Dieser Faktencheck zeige: Die Realität auf den allermeisten Höfen ist oft ganz anders als die Mythen und Vorurteile suggerieren. Es gibt klare Regeln für Lohn, Unterkunft und Sicherheit, die von vielen Stellen streng kontrolliert werden. Die Landwirte wissen längst, dass sie nur mit fairen Bedingungen und zufriedenen Mitarbeitern die Ernte sichern können – zumal gute Helfer immer schwerer zu finden seien. Natürlich gebe es auch schwarze Schafe, deren Verstöße klar benannt und geahndet werden müssen. Aber Pauschalurteile und das Verbreiten von Halbwahrheiten werden der Leistung der Betriebe und ihrer Saisonkräfte nicht gerecht. Es sei Zeit für einen ehrlichen Blick auf eine oft langjährige Partnerschaft, die dafür sorge, dass wir regionales Obst genießen können.