Mit dem Projekt ‚Earth Seeds for Space Project‘, einer internationalen und kulturell geprägten Raumfahrtmission, ist kürzlich ein ungewöhnliches Experiment auf der Internationalen Raumstation (ISS) durchgeführt worden: Samen aus unterschiedlichen Ländern wurden in die Schwerelosigkeit geschickt – darunter auch armenische Granatapfelkerne, die für die Forscherin, Künstlerin und Filmemacherin Dr. Nelly Ben Hayoun Stépanian eine besondere kulturelle Bedeutung haben. Im Gespräch mit dem Fruchthandel Magazin schildert sie die Entstehung, die Durchführung und die Vision hinter dieser Mission.

Die Wurzeln des Projekts liegen im ‚Karman Fellowship-Program‘. Dieses internationale einjährige Leadership-Programm soll jedes Jahr Vertrauen, unabhängigen Dialog und Zusammenarbeit zwischen 15 außergewöhnlichen Persönlichkeiten fördern, die über Fähigkeit, Ehrgeiz und Expertise verfügen, den Raumfahrtsektor zum Wohle aller zu gestalten. Aus Bereichen wie Kunst, Wissenschaft und Raumfahrtführung nehmen sie an Workshops teil und entwickeln Projekte, die auf eine friedliche Zusammenarbeit im All abzielen. Im Jahr 2022 war Ben Hayoun Stépanian – gebürtige Französin mit armenischen und algerischen Wurzeln – selbst Karman-Stipendiatin. In diesem Rahmen entstand eine Zusammenarbeit mit Jaguar Space, einem jungen Unternehmen im Bereich Raumfahrt und Bioastronautik, sowie dessen Gründer, dem Raumfahrtwissenschaftler Dr. Luis Zea. Ausgehend von der Frage, was man zur ISS schicken könnte, das symbolischen und kulturellen Wert trägt, fiel die Wahl auf den Granatapfel. Rückblickend auf die Bedeutung der Mission ergänzt Dr. Luis Zea: „Die Integration von Nutzpflanzen, die in aufstrebenden Raumfahrtnationen heimisch sind, ist entscheidend, um eine nachhaltige menschliche Präsenz jenseits der Erde aufzubauen. Diese Kooperationen fördern die Ernährungsvielfalt, bewahren die kulturelle Identität und eröffnen neue wissenschaftliche Horizonte. Jaguar Space ist stolz darauf, diesen Fortschritt zu ermöglichen und die nächste Generation globaler Weltraumforschender zu unterstützen.“

Schwerelos – die vorbereiteten Granatapfelkerne an Bord der ISS

Schwerelos – die vorbereiteten Granatapfelkerne an Bord der ISS

Image: NASABioServe/Jaguar Space

Der Granatapfel als kulturelles Symbol

In Armenien ist er seit Jahrhunderten tief in der Kultur verankert und taucht u.a. in Mythen oder auch der bildenden Kunst auf. Im Film ‚Die Farbe des Granatapfels‘ von Sergei Paradschanow, so erzählt Ben Hayoun Stépanian, spiegele der Granatapfel zugleich Geschichte, Kunst und Identität Armeniens wider. Die armenischen Granatapfelkerne waren Teil einer größeren Mission. Gemeinsam mit Partnern aus Nigeria, Pakistan und Ägypten wurden weitere Samen zur ISS geschickt: nigerianische Egusi-Melonen, pakistanischer Weizen und ägyptische Baumwolle. Jedes Land habe damit ein Stück seines kulturellen und landwirtschaftlichen Erbes in den Orbit gebracht. „Das Spannende war nicht nur der biologische Aspekt, sondern vor allem die Notwendigkeit internationaler Zusammenarbeit“, sagte Ben Hayoun Stépanian. „Kein Staat kann etwas allein zur ISS schicken. Es erfordert immer die Koordination mehrerer Raumfahrtagenturen und Akteure.“ Für sie liegt der wahre Wert des Projekts genau darin: in der diplomatischen Zusammenarbeit, die ein solches Experiment möglich gemacht hat.

Von Cape Canaveral zur ISS

Die Reise der armenischen Granatapfelkerne begann am 1. August 2025 an Bord einer Falcon-9-Rakete vom Kennedy Space Center in Cape Canaveral und endete am 9. August: Nach mehr als 100 Erdumrundungen und über 4 Millionen zurückgelegten Kilometern sind die Kerne nun wieder zurück. Erste Beobachtungen hätten bislang keine sichtbaren Veränderungen gezeigt, eine detaillierte Analyse stehe jedoch noch aus. „Es war nur ein kurzer Aufenthalt im All. Ich erwarte keine bahnbrechenden wissenschaftlichen Ergebnisse – dafür wären Wiederholungen und Langzeitstudien notwendig“, sagte Ben Hayoun Stépanian. „Aber allein die Tatsache, dass diese Samen dort oben waren, trägt eine symbolische Kraft in sich.“

Dr. Nelly Ben Hayoun Stépanian

Dr. Nelly Ben Hayoun Stépanian

Image: Nadine Stépanian

Wissenschaft und Kultur im Zusammenspiel

Damit ist die Mission ein Beispiel für die Schnittstelle von Astrobotanik und Kultur. Astrobotanik – die Erforschung von Pflanzen im Weltraum – galt lange Zeit als Science-Fiction. Filme wie ‚Der Marsianer‘ oder ältere Visionen von Biosphären im All hätten die Fantasie beflügelt. Heute werde das Thema zunehmend real. „Natürlich kann man auch auf der Erde Pflanzen unter künstlichem Licht ziehen. Aber die Schwerelosigkeit wirft neue Fragen auf: Wie entwickeln sich Samen, wie würden Gärten im All aussehen, welche Formen des Gärtnerns wären denkbar?“ Für die armenischen Granatapfelkerne ging es weniger um einen biologischen Vorteil, sondern um ihre kulturelle Strahlkraft. „Es gibt keinen Beweis dafür, dass ein Samen von Natur aus besser geeignet ist als andere“, betonte sie. „Aber Granatäpfel sind identitätsstiftend für Armenien. Sie ins All zu bringen, ist ein starkes Symbol.“

Friedliche Botschaft im Kontrast zu aktuellen Trends

Für Ben Hayoun Stépanian ist das Projekt auch eine politische Botschaft. „Heute konzentriert sich die Kommunikation im Raumfahrtsektor fast ausschließlich auf Milliardäre wie Elon Musk oder Jeff Bezos – oder auf militärische Nutzung“, kritisierte sie. „Dabei arbeiten 99 % der Menschen in der Branche an ganz anderen Visionen.“ Das ‚Earth Seeds for Space Project‘ sei ein Gegenentwurf: Statt Konkurrenz, Kommerz und Aufrüstung gehe es hier um Kooperation, kulturelle Vielfalt und friedliche Zusammenarbeit. „Allein die Abstimmungen, um Samen aus Armenien, Nigeria oder Pakistan gemeinsam zur ISS zu bringen, sind schon ein Akt der Diplomatie.“ Als ‚Principal Investigator‘ für Armenien war Ben Hayoun Stépanian an dem Projekt beteiligt. Parallel übernahmen Kolleginnen und Kollegen aus Nigeria, Pakistan und Ägypten die Verantwortung für ihre jeweiligen Beiträge. „Jede und jeder brachte ihre bzw. seine Idee und ihr kulturelles Erbe ein, aber der eigentliche Motor des Ganzen bleibt Dr. Luis Zea von Jaguar Space, der dies überhaupt erst möglich gemacht hat – in Zusammenarbeit mit Hannah Ashford vom Karman-Projekt.“

Zukunft der Granatapfelkerne

Die ins All geschickten Samen sollen mit einer Kontrollgruppe von Granatapfelkernen verglichen werden, die auf der Erde verblieben sind. Ziel ist es u.a., neue Erkenntnisse über die Auswirkungen von Gravitationsveränderungen auf das Pflanzenwachstum zu gewinnen – und zugleich Zukunftsvisionen außerirdischer Landschaften zu entwickeln, die von kulturellem Erbe, Botanik und Landwirtschaft geprägt sind. Zudem plant Ben Hayoun Stépanian Workshops mit Studierenden, die über „außerirdisches Gärtnern“ und außerirdische Landschaften nachdenken sollen. „Wie könnte ein Garten auf dem Mond aussehen? Welche kulturellen Konzepte würden wir mitbringen – ein Zen-Garten, ein barocker Park wie in Versailles, oder etwas völlig Neues?“ Darüber hinaus sollen künstlerische Projekte entstehen – gemeinsam mit einem spanischen Komponisten entwickelt sie Musik, die aus den Granatapfelkernen generiert und später in einem Film verwendet werden soll.

Kultur, Wissenschaft und Imagination

Abschließendend betonte Ben Hayoun Stépanian, dass es ihr nicht um naturwissenschaftliche Sensationen gehe. „Wir werden wohl keine Titelgeschichte in der ‚Nature‘ bekommen, weil wir das Experiment nicht hundert Mal wiederholen können. Aber wir eröffnen neue Dialoge.“ Das Projekt zeige, dass Raumfahrt mehr sein könne als militärische oder wirtschaftliche Interessen. Es könne Plattform für Frieden, künstlerische Praxis und kulturelle Vielfalt sein. „Wenn wir Samen ins All schicken, schicken wir nicht nur biologische Proben, sondern Geschichten, Identität und Hoffnung.“

Vorbereitungsphase vor dem Start ins All

Vorbereitungsphase vor dem Start ins All

Image: Ivan Castro Guatemala/Jaguar Space