”In den vergangenen zehn Jahren haben wir immer häufiger von europäischen Kollegen gehört, dass in bestimmten Sektoren, sei es im Gemüseanbau, im Obstbau oder in der Pflanzenproduktion, angesichts fehlender Lösungen zur Bekämpfung von Schädlingen oder Krankheiten die Produktion einfach eingestellt wurde”, erklären Max Schulman, finnischer Landwirt und Vorsitzender der Arbeitsgruppe Pflanzengesundheit bei Copa-Cogeca, Johann Meierhöfer, Leiter des Bereichs Pflanzenbau/Energie im Deutschen Bauernverband, stellv. Vorsitzender der Arbeitsgruppe Pflanzengesundheit bei Copa-Cogeca, und Miguel Minguet, spanischer Landwirt, stellv. Vorsitzender der Arbeitsgruppe Pflanzengesundheit bei Copa-Cogeca.

pflanzenschutz copa cogeca

Image: Copa-Cogeca

(v.l.) Max Schulman, Johann Meierhöfer und Miguel Minguet

Weiter erklären sie: ”Dieses Problem, das nur selten Schlagzeilen macht und in der Öffentlichkeit oft missverstanden wird, stellt für die große Mehrheit der Landwirte eine große Quelle der Frustration und Entmutigung dar. 

Ein Beispiel: Bei Zuckerrüben und Raps sind Ernteausfälle von bis zu 50 % möglich, wenn keine sofortigen Lösungen für den Pflanzenschutz gefunden werden. In spezialisierten Sektoren wie Baumschulen drohen Verluste von bis zu 80 %. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs.

Auf europäischer Ebene wird das, was früher die Ausnahme war, nun schnell zur Regel, und innerhalb weniger Jahre könnten alle großen landwirtschaftlichen Produktionen auf unserem Kontinent vor dem völligen Stillstand stehen.

Seit 2001 ist die Zahl der verfügbaren Pflanzenschutzmittelwirkstoffe von 900 auf 422 Substanzen gesunken. Seit Juni 2019 haben wir einen Nettoverlust von 85 Wirkstoffen zu verzeichnen, ohne dass ein einziges konventionelles Produkt zugelassen wurde, um die verlorenen Wirkstoffe zu ersetzen. Das Tempo dieser Rücknahmen beschleunigt sich rapide. Das Herzstück dieses drohenden Mangels ist das Zulassungssystem für Pflanzenschutzmittel, das auf das Jahr 2009 zurückgeht und dessen Rahmen im Laufe der Zeit immer starrer geworden ist. 

2022 führte die Absicht, die ’Richtlinie über die nachhaltige Nutzung’ in eine Verordnung umzuwandeln, nämlich den berüchtigten ‘SUR’-Vorschlag, der in einer dogmatischen und überladenen Atmosphäre durchgeführt wurde, zu einem der durchschlagendsten Misserfolge der Kommission in Agrarfragen. Die einen haben sich gefreut, die anderen haben gejammert. Doch mittendrin wurden die am unmittelbarsten Betroffenen, nämlich die Landwirte, ohne ausreichende Lösungen und in einer gefährlich unveränderten Situation zurückgelassen.

Wenn wir nur ein einziges überzeugendes Beispiel wählen müssten, um die Risiken zu verdeutlichen, die das Ausbleiben konkreter politischer Maßnahmen für uns alle mit sich bringt, dann nehmen wir den markanten Fall der Kartoffel. Auch heute noch bedroht die Kraut- und Knollenfäule, dieselbe Krankheit, die die irische Kartoffelknappheit verursachte, die Ernten. Während die Landwirte früher über eine Vielzahl von Mitteln zur Bekämpfung dieser anhaltenden Bedrohung verfügten, schwinden ihre Möglichkeiten heute rapide. Ohne sofortige Maßnahmen könnten die Kartoffelerträge um bis zu 50 % zurückgehen, was nicht nur die Lebensgrundlage der Landwirte, sondern auch die Ernährungssicherheit und -souveränität Europas bedrohen würde.

Jedes Jahr, das verstreicht, ist zu einem Wettlauf mit der Zeit geworden, und bald wird Europa nicht mehr den Luxus großer theoretischer Debatten haben, sondern mit der harten Realität konfrontiert sein, die schnell näher rückt. Sei es durch immer häufiger auftretende Krisen, die unsere Produktion beeinträchtigen, oder durch die zunehmende Inkohärenz und eklatante Ungerechtigkeit im Zusammenhang mit Agrar- und Lebensmittelimporten, die weder unsere Standards noch unsere Verbote einhalten.

Hoffnung in dieser Frage für den Agrarsektor könnte nun aber von der Kommission kommen. Die führende Institution der EU ist sich des Problems und der Herausforderungen, die es sowohl für den Binnenmarkt als auch für unsere Einfuhren mit sich bringt, voll bewusst. In der ’Vision für die Zukunft der Landwirtschaft’ wurden starke und klare Grundsätze zu diesem Thema formuliert, wie z.B. die Idee ’kein Verbot ohne Alternativen’. Dies muss sich nun jedoch in der Praxis und durch konkrete Maßnahmen widerspiegeln, was wir insbesondere in dem für Herbst 2025 angekündigten Vereinfachungspaket sehen wollen.

Gemeinsam mit unseren Kollegen von der Arbeitsgruppe Pflanzenschutz schlagen wir vier einfache Grundsätze vor. Diese könnten dazu beitragen, das Schlimmste zu verhindern, und gleichzeitig den Landwirten und Interessenvertretern der Branche eine Perspektive bieten.

Erstens muss das derzeitige Verfahren zur Wiederzulassung überarbeitet werden, indem zu einem Ansatz zurückgekehrt wird, der das Kosten-Nutzen-Risiko-Verhältnis fairer berücksichtigt. Zu viele Wirkstoffe werden aus Gründen von der Liste gestrichen, die unserer Ansicht nach nicht ausreichend wissenschaftlich fundiert sind oder auf einer Risikokalkulation beruhen. 

Zweitens müssen wir natürlich die Zulassung alternativer Lösungen wie biologische Pflanzenschutzmittel und/oder neue genomische Techniken unterstützen, fördern und beschleunigen.

Es ist jedoch eine Tatsache, dass die Landwirte nicht erwarten können, dass die Substanzen über Nacht eins zu eins ersetzt werden. Forschung und Kommerzialisierung brauchen Zeit, und wir müssen daher praktische Übergangsregelungen in Betracht ziehen, um eine Ausbreitung von Blockaden zu vermeiden.

Drittens müssen wir Initiativen zur agronomischen und technischen Unterstützung der Landwirte bei der Umstellung auf neue Pflanzenschutzmethoden unterstützen.

Und schließlich - und das ist ein Punkt, der bereits in der Vision der Kommission anerkannt wurde - müssen wir, wo immer möglich, den Schutz der europäischen Standards in unserer Handelspolitik stärken. Andernfalls werden wir in zunehmendem Maße mit einem ’Leck im Pflanzenschutz’ konfrontiert sein, so wie wir bereits ein ’Carbon Leakage’ erleben.

In dieser Frage, wie auch in vielen anderen Bereichen der Landwirtschaft, spielt Europa in den kommenden Monaten um seine Zukunft und auch um die seiner Ernährungssicherheit. Wenn wir nicht in der Lage sind, uns um unsere Pflanzen zu kümmern, wird es nichts mehr geben, worüber man sagen könnte: ’Guten Appetit, das kommt aus Europa’. Zwischen politischem Dogmatismus und einem unhaltbaren Status quo gibt es einen vernünftigen Weg, der durch pragmatische Entscheidungen und den Dialog mit den Vertretern der Landwirtschaft gestaltet werden kann.”