Mit der Entscheidung, ein reformiertes Handelsabkommen mit Marokko ohne Zustimmung des EU-Parlaments und kurz vor Ablauf einer wichtigen Gerichtsfrist vorläufig anzuwenden, steht die EU-Kommission unter heftiger Kritik. Aus Parlament und Landwirtschaft kommt scharfer Protest, berichtet Jeremias Lin für Euractiv.com.

In einem „intransparenten Eilverfahren“ habe die Kommission am 10. September vom Rat der Europäischen Union das Mandat für Verhandlungen erhalten. Bereits am 18. September habe sie einen Vorschlag vorgelegt, der am 3. Oktober vom Rat als vorläufiges Abkommen gebilligt wurde – ohne Beteiligung des Europäischen Parlaments.

Am 8. Oktober forderten 29 Abgeordnete verschiedener Fraktionen in einem Schreiben an Parlamentspräsidentin Roberta Metsola, die Kommission „offiziell und unmissverständlich“ für ihr Vorgehen zu rügen. Sie werfen der Kommission drei Verstöße vor: die vorläufige Anwendung des Abkommens ohne Zustimmung des Parlaments, die Missachtung von Urteilen des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) sowie die „Belohnung der anhaltend illegalen Besetzung“ der Westsahara, indem Marokko wirtschaftlich davon profitiere.

Fahnen am EU-Parlament

Image: Udo Pohlmann | Pixabay

Hintergrund: Im Oktober 2024 hatte der EuGH entschieden, dass die 2019 geschlossenen Handelsabkommen mit Marokko über Fischerei- und Agrarprodukte „unter Verstoß gegen die Grundsätze der Selbstbestimmung und der relativen Wirkung von Verträgen geschlossen“ wurden. Das Volk der Westsahara – die Sahrauis – habe dem nicht zugestimmt. Um ein rechtliches Vakuum zu vermeiden, habe die Kommission das neue Abkommen im beschleunigten Verfahren durchgesetzt, so Lin.

Euractiv zufolge belief sich das bilaterale Handelsvolumen zwischen der EU und Marokko im Jahr 2024 auf 60,6 Mrd. Euro; die EU war für 59 % des gesamten marokkanischen Außenhandels verantwortlich.

Marokkos Beerensektor auf Wachstumskurs

Während die politische Debatte anhält, entwickelt sich der marokkanische Agrarsektor dynamisch weiter. Laut Oumaima Moho Amerby auf Morocco World News hat das Land in der Saison 2024/25 Rekordmengen an Himbeeren und Blaubeeren exportiert – insgesamt rund 64.400 t Himbeeren im Wert von 487 Mio. US-Dollar (+13,8 %) und 67.300 t Blaubeeren (+25 %). Großbritannien bleibe dabei wichtigster Abnehmer, gefolgt von Spanien, den Niederlanden, Deutschland und Frankreich. Damit seien Himbeeren inzwischen das zweitwichtigste Exportprodukt Marokkos nach Tomaten, so Amerby.

Himbeeren und Blaubeeren im Makro

Image: Silvia Stödter | Pixabay

Der Erdbeeranbau hingegen schrumpfe deutlich – von 3.700 ha (2022) auf 2.300 ha (2025). Produzenten nennen geringere Rentabilität, Konkurrenz aus Ägypten sowie witterungsbedingte Risiken als Gründe. Laut Nabil Belmkaddem, Direktor der Genossenschaft BestBerry, gehe es dabei nicht nur um den Fruchtwechsel, sondern um strategische Anpassung und Resilienz in einem sich wandelnden Markt.

Neue Anbaugebiete wie Dakhla (mit Entsalzungsprojekten) und die Atlas-Region verlängern die Saison, die sich bei Himbeeren nun von September bis Juni, bei Blaubeeren von Oktober bis Juni erstreckt. So könne Marokko Lieferlücken in Europa schließen. Trotz Herausforderungen wie Wasserknappheit, Arbeitskräftemangel und steigenden Kosten bleibe die Dynamik positiv. Investitionen in Bewässerung, Jungpflanzenproduktion und Technologie sollen den Standort langfristig sichern. Der Wandel von Erdbeeren zu Him- und Blaubeeren ist für Amerby mehr als ein Trend – er stehe für wirtschaftliche Pragmatik und Klimaanpassung in einem Land, das zunehmend als wichtiger Partner im europäischen Fruchthandel gilt.

Weiterführende Links:
→ zum Artikel von Jeremias Lin: Euractiv.com
→ zum Artikel von Oumaima Moho Amerby: Morocco World News
→ Unser Artikel zum Thema Marokko vom 2. Oktober 2025: Marokko zwischen Kooperation und Kontroverse

 

 

 

 

 

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